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75 Jahre Hiroshima: Ein Appell

75 Jahre nach dem Atombombenabwurf über Hiroshima
Interview von Barbara Ludwig, Redaktorin von kath.ch, mit Arne Engeli telefonisch geführt am 4.8.20 (gekürzt)

 

Was bedeutete Hiroshima für die Friedensbewegung in der Schweiz?
Arne Engeli: Die Ächtung der Atomwaffen war von Anfang an zentral für die Friedensbewegung. Auf der ganzen Welt, nicht nur in der Schweiz. Das zeigen die Ostermärsche, die sich gegen die Bedrohung durch die atomare Aufrüstung richteten. Der erste Ostermarsch überhaupt fand 1958 in Grossbritannien statt. Das hat dann weltweit gezündet.


Wann ging es in der Schweiz los?
Engeli: 1958 erklärte der Bundesrat, er wolle die Schweizer Armee mit Atomwaffen ausrüsten. Dagegen gab es Widerstand in Form einer Volksinitiative, die in der Bundesverfassung ein Verbot von Atomwaffen verankern wollte. Sie scheiterte jedoch 1962 an der Urne. Nur drei Kantone hatten sie unterstützt: Genf, Waadt und Neuenburg. Darum führte der erste, von der Anti-Atombewegung organisierte Ostermarsch hierzulande von Lausanne nach Genf. Das war 1963.
Weiteren Aufschwung erhielt die Friedensbewegung durch den sogenannten Nachrüstungsbeschluss, auf dessen Grundlage die NATO in Deutschland mit Atomsprengköpfen bestückte Raketen aufstellen liess. 1981 habe auch ich mit meiner Familie auf dem Berner Bundesplatz an einer Kundgebung gegen die Nachrüstung teilgenommen. 40´000 nahmen daran teil. In den Grenzregionen Basel und Bodensee organisierte der Schweizerische Friedensrat ab den 1980er Jahren länderübergreifende Ostermärsche. Die am Bodensee finden bis bis heute statt, jetzt "Bodensee-Friedensweg" genannt.


Was bedeutet der Bombenabwurf vom 6. August 1945 heute für uns?
Engeli: Noch immer müssen wir energisch verlangen, dass die Welt atomwaffenfrei wird. Es braucht den Atomverbotsvertrag, den die Uno 2017 verabschiedet hat, der aber immer noch nicht in Kraft ist. Der Vertrag beinhaltet eine Ächtung von Atomwaffen. Er will erreichen, dass die aktuell neun Atomwaffenstaaten ihre Atomwaffenarsenale liquidieren. Der Bundesrat hat bislang keine Entscheidung getroffen. Deshalb unterstütze ich den Städteappell von ICAN, der den Bundesrat auffordert, den Vertrag zu unterzeichnen.


Hat die Menschheit etwas aus Hiroshima gelernt?
Engeli: Ja. Seit Hiroshima und Nagasaki gab es keinen Atombombenabwurf mehr. Zudem gibt es seit 1968 den Atomwaffensperrvertrag. Dieser sorgte dafür, dass nicht immer mehr Länder in den Besitz von Atomwaffen gelangten. Damit wurde zumindest erreicht, dass sich Atomwaffen nicht weiter verbreiten. Mit Lateinamerika gibt es sogar eine atomwaffenfreie Zone. Das genügt aber nicht. Denn die Bedrohung ist immer noch da – auch das Risiko einer Panne.


Wie beeinflusst Hiroshima Ihre persönliche Einstellung zur von der Schweiz geplanten Beschaffung von Kampfjets, über die die Schweiz am 27. September abstimmt?
Engeli: Einen direkten Zusammenhang gibt es nicht. Anders ist es in Deutschland. Dort sollen Kampfflieger angeschafft werden, die mit Atomwaffen bestückt werden können. In der Schweiz ist das nicht der Fall. Für mich ist der Nutzen der Kampfjets allerdings nicht einsehbar. Wir sind umgeben von befreundeten Nationen. Dass wir angegriffen werden sollten, liegt ausserhalb meiner Vorstellungskraft. Die Beschaffung der Kampfjets ist deshalb aus meiner Sicht eine Verschleuderung von Ressourcen.


Sind Sie grundsätzlich für die Abschaffung der Armee oder einfach gegen die Kampfjets?
Engeli: Wappnen wir uns gegen die realen Bedrohungen: Cyberattacken, Klimawandel, Pandemien, soziale Not. Ich halte es mit Papst Franziskus: "Wahrer Friede kann nur ein waffenloser Friede sein."  Ein wichtiger Grundsatz ist für mich: Wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten. Ein römischer Spruch besagte einst: «Wer den Frieden will, muss den Krieg vorbereiten». Wenn man aber den Krieg vorbereitet, gibt es auch Krieg. Will man Frieden, muss man den Frieden vorbereiten.


Was heisst das?
Engeli: Lösungen finden ohne Gewalt. Ich selbst habe 1989 bei einem Aufenthalt in der damaligen DDR die gewaltfreie Revolution erlebt. Sie ist gelungen, weil diejenigen, die eine Änderung wollten, sich jahrelang darauf vorbereiteten, Änderungen ohne Gewalt durchzusetzen.
Glauben Sie wirklich, dass es ohne Waffen geht, oder bleibt dies ein Ideal, das man anstreben sollte, ohne es jemals erreichen zu können?
Engeli: Der Weg zu diesem Ziel setzt voraus, dass die einzelnen Staaten auf die Anwendung von Gewalt verzichten. Vielmehr sollte ausschliesslich die Uno anstelle der Nationalstaaten die Kompetenz haben, im Notfall Gewalt anzuwenden (Uno-Charta von 1945, Kap. VI + VII, kollektive Sicherheit). Dies wäre die Fortsetzung einer früheren Entwicklung. Einst hatte jeder Mensch das Recht, Gewalt auszuüben. Irgendwann waren die Menschen einverstanden, dem Staat ein Gewaltmonopol einzuräumen und selber auf Gewalt zu verzichten. Der Verzicht der Staaten, ihre Interessen mit Gewalt durchzusetzen, wäre ein nächster Schritt. Noch ist es eine Utopie. Aber es lohnt sich, darauf hin zu arbeiten.


Der Ökumenische Rat hat 1984 die Bewegung für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung lanciert. Frieden ist die Frucht der Gerechtigkeit – das sagt uns schon die biblische Botschaft. Das bekräftigte 1989 die 1. europäische ökumenische Versammlung in Basel. Wer Frieden will, muss sich für Gerechtigkeit einsetzen. Zur Vorbereitung dieses ökumenischen Prozesses konnte ich an einem Seminar in Japan teilnehmen. Wir besuchten auch Hiroshima und hörten dort Berichte von Überlebenden dieses unfassbaren Massakers. 140`000 Menschen starben, drei Tage später in Nagasaki nochmals 70`000 – und viele mehr an Langzeitfolgen des Atombombenabwurfes. Das darf nie mehr passieren.

 

Arne Engeli (84), Rorschach, Politologe, 1971-91 Leiter des Evangelischen Tagungszentrum Schloss Wartensee, Rorschacherberg, dann bis zur Pensionierung Programmbeauftragter des HEKS für das ehem. Jugoslawien, seit 1986 engagiert in der Organisation des Bodensee-Friedenswegs.

 

 

 

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